Das Wissen um (Frei-)Räume

Die Veranstaltungen zur IBA-Halbzeit

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Nicht allein mit einer Ausstellung, sondern mit einer Fülle von Veranstaltungen stellte sich die IBA Heidelberg zur Zwischenpräsentation einer interessierten, kritischen Öffentlichkeit. Bei Vorträgen, Ortsterminen, Ausstellungsführungen, Diskussionsrunden, Symposien und Workshops wurde rund neun Wochen lang vermittelt, hinterfragt, in die Zukunft geblickt.

Natürlich stand am Anfang all dieser Veranstaltungen eine Art Selbstvergewisserung. Sie betraf die IBA selbst: Wie weit sind wir gekommen? Was haben wir geschafft? Was muss noch kommen? Sie betraf aber auch die Stadt Heidelberg: Was machen wir mit dem Wissen, das hier erarbeitet, gesammelt und verdichtet wird? Welche Außenwirkung ist damit verbunden, und welche Räume, welche Infrastruktur, welche Qualitäten muss die Stadt dafür liefern? Die Selbstvergewisserung zum Stand der Dinge im Bezug auf Wissenschaft und Stadt betraf national und international aber gleichzeitig alle, die an der Zukunft unser Städte mitwirken.

Wie weit sind wir?

Wie machen es die anderen Städte in vergleichbarer Größe und mit vergleichbar bedeutenden Universitäten? Diese Frage stand am Beginn des dritten IBA_SUMMIT, »Knowledge Based Urbanism«, der Auftaktkonferenz zur Zwischenpräsentation Ende April 2018. Sie gab damit den Start für eine Fülle von Veranstaltungen frei, die auch jene Bürgerinnen und Bürger ansprechen sollten, diesich nur latent oder gar nicht mit Stadtentwicklung oder Architektur beschäftigen, um sie für die Themen Architektur und Städtebau zu sensibilisieren. Schließlich muss die IBA Heidelberg ihre Ergebnisse für die Menschen in Heidelberg und deren Besucher nicht nur theoretisch und abstrakt nachvollziehbar, sondern physisch sicht- und vor allem erlebbar machen. Eine Zwischenpräsentation zieht allerdings erst einmal eine Bilanz zu Themen und Projekten und führt die Orte vor, an denen etwas geschehen, sprich: gebaut werden soll. Den Abschluss der Zwischenpräsentation bildete dann Anfang Juli das so genannte IBA_LAB, das die »Wissensstadt von morgen« thematisierte.

Wir müssen reden

Ein wichtiges Thema der IBA Heidelberg sind die »Wahlverwandtschaften« mit anderen Städten weltweit, deren Größe und Situation mit Heidelberg vergleichbar sind. Vertreter von vier dieser Knowledge Pearls aus mehr oder weniger fernen Ländern, konkret aus Cambridge (Großbritannien), Palo Alto/Stanford (USA), Lund (Schweden) und Leuven (Belgien) waren nach Heidelberg gekommen, um sich untereinander und mit ihren Gastgebern auszutauschen, die Besonderheiten der jeweiligen Stadt zu präsentieren, Parallelen und Unterschiede zu markieren, Ebenen der Vergleichbarkeit zu finden, Pläne zu erörtern und Perspektiven abzuschätzen. Die IBA kann sich schon jetzt zugute halten, dass sie dieses Netzwerk erfolgreich zu knüpfen wusste. Denn der Austausch über die jeweiligen Verflechtungen zwischen Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft – die in diesen Tagen in Heidelberg oft zitierte »Triple-Helix« – beziehungsweise deren planerische Ausrichtung und Perspektive ist ein wichtiges Instrument, um den eigenen Standort zu bestimmen und den der Partner zu kennen.

Dieses Gipfeltreffen – der IBA_SUMMIT – sollte nicht das letzte gewesen sein, und man kann nur hoffen, dass dieses Veranstaltungsformat die IBA in Heidelberg überdauern wird.

Das Wissen über die Verflechtungen von WIssenschaft und Stadt

Der Blick auf die Wechselwirkungen von Stadt, Forschung, Lehre und Bildung auf der einen, der Wirtschaft auf der anderen Seite sowie auf das Leben, das sich in diesem Geflecht entwickelt, ist buchstäblich eine Wissenschaft für sich. Das machten die SUMMIT-Vorträge des Soziologen Claus Leggewie und des Stadtplaners Kees Christiaanse einleitend von unterschiedlichen Standpunkten aus deutlich.

Claus Leggewie diskutierte dies strikt aus der Sicht der Wissenschaft und im Wesentlichen unter fünf Gesichtspunkten: der gesellschaftlichen Freiheit, die angesichts der Entwicklungen in Ungarn, der Türkei, Russland, China, aber neuerdings auch in den USA neu zu thematisieren sei. Der Offenheit von Wissenschaft, die dem kontemplativen Bedürfnis einiger Forscher nach Ruhe im »Elfenbeinturm« zwar entgegen stehe, aber dennoch ihren Beitrag zu Lehre und Bildung zu leisten habe. Sie trage letztlich auch zur nachhaltigen Verfügbarkeit von Erkenntnissen bei. Dabei nehme das Prinzip der Partizipation, der Teilhabe an der Wissenschaft und ihren unterschiedlichen Disziplinen, eine wichtige Rolle ein. Interdisziplinarität entwickele sich immer mehr zu einer  Multidisziplinarität, von einem Spezial- zu einem Generalwissen, zu einem Common Sense. Als entscheidend für die Entfaltung der Wissenschaft in diesem Sinne hält Claus Leggewie eine einladende Architektur für wissenschaftliche Einrichtungen und deren gute räumliche Vernetzung in den Städten. Sie müssten sich auf dem hart umkämpften Immobilienmarkt einen zentralen städtischen Ort sichern. Die von Stararchitekten versprochene Schönheit sei dabei vielleicht entbehrlich, nicht aber die beizeiten von Alexander Mitscherlich eingeforderte »Wirtlichkeit « der Städte sowie ihre Durchmischung, die schon Jane Jacobs ihrerzeit in New York zu verteidigen versucht habe.

Der Stadtplaner Kees Christiaanse argumentierte in eine ähnliche Richtung. Auch nach seiner Auffassung sollen kleinteilige, gemischt genutzte und eng vernetzte Quartiere entstehen, in denen geforscht, gelehrt, produziert, gewohnt und gelebt wird. Als aktiver, eben auch im Rahmen der IBA in Heidelberg tätiger Planer weiß er natürlich, dass dies nicht allein in den zentralen Altstadtbereichen möglich sein kann, zumal die großflächigen Wissenschaftseinrichtungen kaum mehr neue zentrale Orte in den (Alt-)Städten finden. Er spannte für seine Argumentation ein breites Spektrum interessanter, wenn auch nicht immer vergleichbarer Fälle auf, deren Gesamtheit aber in eine Richtung wies: Es ging Kees Christiaanse darum, Möglichkeiten für vielfältige, kleinteiligvernetzte räumliche Strukturen aufzuzeigen. An den meisten seiner Beispiele hat er mitgeplant. Das lässt für das Patrick-Henry-Village, an dessen Planung er ebenfalls mitwirkt, auf eine Erfüllung der Wünsche hoffen, die Claus Leggewie zuvor formuliert hatte.

Wo geht es lang?

Waren damit aber schon die »Wissensstädte von morgen« umschrieben? Eine Internationale Bauausstellung kann es sich nicht nur leisten, über den Tellerrand hinaus zu schauen, sie muss es schon aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus, auch wenn man sich in Deutschland sonst damit schwer tut. Dafür war eine weitere Konferenz notwendig, die am Ende der Zwischenpräsentation nicht nur die zweite Halbzeit der IBA in Heidelberg eröffnete, sondern weit darüber hinaus blickte.

Der Soziologe und Zukunftsforscher Harald Welzer holte allerdings gleich zu Beginn dieses IBA_LAB hochfliegende Vorstellungen von der digitalen Stadt als der eigentlichen Vision der »Wissensstadt von morgen« auf den Boden der Realität zurück. Die »analoge« Realität städtischer Qualitäten in ihrer Vielfältigkeit, ihren Widersprüchen, ihren Reibungen, Begegnungen und der Direktheit ihrer medial immer noch sehr viel umfassenderen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht sei die notwendige Antwort auf die Anforderungen der Wissensstadt – nicht die Smart City. Das klang sehr nach old school – bringt Harald Welzer doch genügend Lebenserfahrung – auch als Wissenschaftler – für eine solche Erkenntnis mit.

Aber er benannte noch einen anderen Aspekt: Die Smart City gehe mit dem Prinzip der offenen Stadt, der offenen Gesellschaft nicht einher. Die breite Verfügbarkeit von Daten und die damit verbundene Transparenz bedrohe die Demokratie. Der Umgang mit elektronischen Daten in China gibt in der Tat Anlass zur Sorge. Soziale Punktesysteme sowie die elektronische Kontrolle von Verfehlungen und Wohltaten seien nicht gerade beispielhaft für demokratische Prozesse. Im Gegenteil ermögliche die Offenheit der Daten in China eine größere Überwachung der Bevölkerung als unter Gestapo und Stasi zusammen. Dies ist in der Tendenz aber eben nicht nur in China, Russland oder in der Türkei zu beobachten, auch bei uns zeigt die Debatte um Gesichtserkennung, Videoüberwachung und Datenschutz die Konfliktfelder auf. Harald Welzer kam zu dem Schluss, dass die Offenheit einer Gesellschaft, auch einer Stadt nur zu erreichen sei, wenn es gleichzeitig private Orte und Geheimnisse geben könne. Diese seien in den alten Städten noch gegeben und ihre Realität deshalb nicht verzichtbar.

Selbstverständlich war allen Teilnehmern bewusst, dass die elektronische Datenverarbeitung längst Einzug in die Wissenschaft gehalten hat und ein unverzichtbares Instrument der Stadtplanung ist – ganz abgesehen davon, dass unser alltätgliches Leben bereits ganz erheblich von digitalen Daten, Werkzeugen, Steuerungen und vielem mehr dominiert ist.

Plastisch wurde Welzers mahnender Hinweis auf den Widerspruch zwischen digitaler und offener Stadt dann noch einmal an einem anderen Beispiel: Undine Giseke wies in ihrer erbetenen Erwiderung auf Harald Welzer auf den Konflikt zwischen den Anforderungen für autonomes Autofahren und einem Vorrang für den Fahrradverkehr: hier der von Algorithmen gesteuerte Autoverkehr mit abschöpfbaren Daten, dort der individualistische, chaotische, bisweilen anarchische Fahrradverkehr, wie er derzeit zumindest in Großstädten wie Berlin oder Hamburg üblich ist und eben diese Daten (noch) nicht hergibt.

Die IBA_LAB-Konferenz machte aber auch deutlich, dass die planerische Realität der (Wissens-)Städte von der Apokalypse noch etwas entfernt ist, die in Harld Welzers Vortrag zumindest im Hintergrund aufschien.

Die Teilnehmern der drei Panels trugen klare Wünsche beziehungsweise Forderungen vor: nach einer nichtsdestotrotz ergiebigen digitalen Vernetzung (Nicolas Buchoud) und den erlebbaren natürlichen Stoffkreisläufen, Ressourcen und Abfällen in der Stadt (Antje Stockmann); nach einer universal nutzbaren (Dietmar Eberle) oder einer strikt an den jeweiligen Nutzerbedürfnissen orientierten Architektur für Wissenschaften und Lernräume (Leif Daniel Houck); oder nach den Vorstellungen von einer besseren Koproduktion durch »Simultanschach im Städtebau« (Kees Christiaanse) und schließlich nach der Balance zwischen Partizipation, Macht und Architektur (Susanne Hofmann).

Die Summe dieser Forderungen ergaben auch mit den Nachfragen und Publikumsbeiträgen am Ende noch keine Vision der »Wissensstadt von morgen«. Das war nicht zu erwarten, denn Planern und Architekten obliegt es zwar, professionell in die Zukunft zu schauen und sich eine »bessere« Welt vorzustellen. Zu utopisch können diese Vorstellungen aber nicht sein, wenn sie pragmatisch praktikabel bleiben sollen. Zumindest hatte die Konferenz aber ein paar Wege aufgezeigt, in die sich unsere Städte im allgemeinen und im Bezug auf Wissenschaft und Bildung entwickeln sollten.

Ende mit Aussicht

Am Ende der Veranstaltungen zur Zwischenpräsentation bescheinigte der Soziologe Walter Siebel der IBA noch, auf dem richtigen Weg zu sein. Ihre kommunale Basis verpflichte sie, nahe an den tatsächlichen Problemen einer Stadt zu sein, in der die Wissenschaft das Leben bestimmt. Dabei sprach Walter Siebel das wirklich nur schwer verständliche Missverhältnis in der finanziellen Förderung der IBA-Heidelberg an. Der Bund sei im Gegensatz zum Land Baden-Württemberg ein Förderer ihrer Projekte. Ansonsten müsse allein die Stadt die Kosten tragen.

Die IBA bewegt Probleme, die zunächst lokal erscheinen. Sie haben aber eine übergreifende Relevanz, die insbesondere ein Bundesland wie Baden-Württemberg mit wichtigen Wissenschafts- und Industriestandorten betrifft. Ihre internationale Relevanz haben alle bisherigen Veranstaltungen der IBA, alle SUMMITs und LABs insbesondere während der Zwischenpräsentation bewiesen. Profitieren werden von den Ideen, den Prozessen, den Diskursen und den Ergebnissen der IBA neben Heidelberg selbst sicher auch große Städte wie Hamburg, Berlin oder München: wachsende Großstädte, in denen Produktion, Wissen sowie Wissenschaft neue Cluster bilden. Dort ist man der IBA-Heidelberg dankbar. In Stuttgart auch?