Umdenken erbeten, Betreten erwünscht: DER ANDERE PARK

Im Interview mit Landschaftsarchitektin Robin Winogrond

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Das Zürcher Büro Studio Vulkan für Landschaftsarchitektur hat mit seinem Entwurf die Wettbewerbsausschreibung der Stadt Heidelberg für das IBA-Projekt Der Andere Park gewonnen. Ende 2020 soll Der Andere Park auf dem ehemaligen Areal der Campbell Baracks in Heidelbergs Südstadt eröffnet werden. Im Interview erläutert Landschaftsarchitektin Robin Winogrond, Partnerin und Mitgründerin des Studio Vulkan den konzeptionellen Leitgedanken, die Idee und die Erwartungen an den Park der Begegnung.  


Frau Winogrond, was ist das Besondere an dem Projekt Der Andere Park?

Das Faszinierende des Geländes ist die Militärgeschichte: Die Überlagerung von ehemaliger Nazikaserne zum Hauptquartier des US-Streitkräfte in Europa und NATO Headquarter – die Geschichte dieses Ortes ist vielschichtig und prägend. Die Herausforderung ist, in Zukunft einen Umgang zu finden mit der Vergangenheit. Man kann die Geschichte als deutsche Person nicht vermeiden, man muss sich mit ihr auseinandersetzen – nur so kann man Verantwortung für Gegenwart und Zukunft übernehmen. Andere haben vorgeschlagen, aus dem Gelände einen pinkfarbenen Spielplatz zu machen, aber das wäre eine Verkleidung, die Verkleidung eines wirklich wichtigen Kulturgutes.  

Als Amerikanerin und mit meinem Hintergrundwissen zu diesem schwierigen Kapitel deutscher Vergangenheit bin ich überzeugt, dass wir hier eine positive Art der Auseinandersetzung finden. Denn meiner Meinung nach lässt eine positive Umdeutung die Geschichte viel besser annehmen, reflektieren und letztendlich auch daraus lernen. Unsere Idee ist, gegenwarts- und zukunftsorientiert zu gestalten, d. h. sich diesem Ort über eine Umdeutung und Umnutzung zu nähern: Wie kann ich aus einer Mauer, die ja ausschließend, die trennend war, einen sozialen Treffpunkt machen?  

Wir haben ganz verschiedene Dinge umgedeutet, von den Überwachungskameras bis hin zum Bild des Adlers, immer mit der Fragestellung: Wie machen wir der Gesellschaft ein positives Angebot, die Geschichte zu reflektieren?

Darüber hinaus ist dieser Ort nicht nur geschichtlich interessant, sondern auch ganz abstrakt, sehr physisch: Die Idee ist, dass wir das Materielle dieses Ortes wieder aufgreifen, wieder verwenden. Zum Beispiel nehmen wir bestehenden Belag, wir schreddern ihn und gießen daraus den neuen Belag von Wegen oder Plätzen.
Auch hier die Frage: Wie können wir die Stimmung des Ortes einfangen? Die Kunst ist, diesem Ort eine Gestalt zu geben, die diese ganz spannenden atmosphärischen Situationen unterstützt und sie nicht zunichtemacht oder entfernt.

Sie sprachen im Zusammenhang ihrer Entwurfspräsentation davon, dass Sie den Städtebau über den Freiraum erschließen. Was bedeutet das für Sie?  

Ich finde, in der Deutschen und Schweizer Tradition wurde der Städtebau immer über die Architektur definiert – und wir, als Landschaftsarchitekten, dekorieren das dann. Doch Stadt besteht aus zusammenhängenden Orten, diesen Raumsequenzen, diesen Maßstäben und dieser Komplexität. Der Freiraum ist oftmals das Spannende, um dem Ort seine Identität zu geben. Ein ganz wichtiger Aspekt unseres Entwurfs ist die Memory Lane: Wir sammeln Artefakte, wie Überwachungskameras, Fahnenmasten und Lampen, und stellen sie verfremdet dar – andere Raumkonstellation, andere Nutzungen, man begegnet fast in einem Ausstellungscharakter,Elementen, die an sich nicht hübsch sind. Und das ist es. Es geht nicht darum, einen hübschen Park zu machen, sondern einen Park, der seine Geschichte wiederspiegelt. Die hässliche Lampe konfrontiert mit der Geschichte. Wir versuchen, verschiedene Weltanschauungen in einer Überlagerung zu sammeln und darzulegen.

Können Sie den Titel Ihres Wettbewerbsbeitrags »Park der Begegnung« kurz erläutern?  

»Park der Begegnung« ist unser konzeptioneller Leitpfad. Der Andere Park ist ein Park der Begegnungen, Begegnungen von Menschen, von Tieren, er erlaubt ganz verschiedene Arten von Begegnungen. Das war für uns auch der Schlüssel, zu sagen, wir nehmen etwas, das geschlossen und nur einem bestimmten Kreis von Menschen zugänglich war und machen es zu einer sozialen Angelegenheit, zu offener Kommunikation – wir kehren es um. Wir haben alle Orte umgetauft, ihnen Namen gegeben, die Begegnung andeuten. So wird beispielsweise der Checkpoint zum enormen Spielort umgedeutet, der Kommisarsgarten wird mit kleinen »Wohnzimmern« für Interventionen bespielt, der ehemalige Paradeplatz wird zum Forum und zum zentralen Herz der Anlage für temporäre und alltägliche Bespielungen und Events.

Eine Herausforderung bei dem Andere Park ist, die verschiedenen Kultur- und Wissensorte und die Freiflächen miteinander zu verbinden – wie haben Sie das gelöst?

Das ist die größte Herausforderung des Projekts: Wie verbindet man diese einzelnen Fragmente ebenso wie die Fragmente der Geschichte und wie macht man daraus einen Park? Wir haben versucht, jedes Element mehrfach belastbar zu machen. Das rote Band zum Beispiel verbindet optisch auf der Bodenebene, es ist das historische Element und verdeutlicht den Zusammenhang. Gleichzeitig haben auch der Naturstein der Region und viele Bauten hier diese Farbe. Wir nehmen die Steine von Mauern und Wegen, wir schreddern sie und gießen sie in einen neuen Belag. Das heißt, wir betten diese genetischen Spuren des Ortes hinein, wir lassen sie neu begehbar sein, auch in eine neu begehbare Geschichte. Viele Elemente bekommen ein neues Narrativ. Dem roten Band stellen wir ein zeitgenössisches Element gegenüber: die Sitzwaben. Wir haben eine spannende Bank entwickelt, die man in verschiedenen Konstellationen zusammenstellen kann. Die sechsseitigen Sitzwaben schaffen diverse »Sitzlandschaften«, die in alle Richtungen schauen und so Synergie und Begegnung fördern. Sie sind in verschiedenen Gummifarben und werden an die Ränder dieser Orte des Roten Bandes gestreut. So haben wir eine neue Schicht von sozialer Begegnung und Bespielung – mit einer Leichtigkeit und einem Humor, die sich deutlich absetzen von der schweren Geschichte.

Und die Vegetation?

In der Vegetation haben wir eine Leitart, die Eiche. Unter Hitler wurde die Eiche als Symbol für Treue, Standhaftigkeit und nationale Einheit, als Symbol für die neue Zeit belegt. Wir nehmen hier nicht nur europäische, sondern auch amerikanische Eichen. Beide sind auch heute so vor Ort. Wir kehren und deuten es um. Wir mischen sie, um diesen Dialog zu unterstreichen. Exotische Bäume wie z. B. Zypressen waren in den Botanischen Gärten und Parks der Jahrhundertwende immer auch ein Zeichen dafür, dass man gebildet, weit gereist und wohlhabend war. Im Projekt deuten wir auch diesen Gedanken um: Wir setzen exotische Pflanzen und Bäume zum Kulturmarkt: Der Kulturmarkt ist der Ort, an dem die Kulturen zusammenkommen, an dem Kreativität ebenso wie Out-of-the-Box-Denken stattfinden.

Wie gehen Sie mit dem Widerspruch »Militärgelände – weltoffener Bildungsort« um?

Ich empfinde das auf diesen Ort bezogen gar nicht so widersprüchlich, denn hier muss inhaltlich zwischen Militär und Bildung keine Verbindung sein. Es ist vielmehr die Frage: Wie bringt man ein historisches Militärgelände in zeitgenössisches Leben? Bildung hat viel mit Offenheit, mit Neugier, aber auch mit Reflektieren, mit Verstehen, Verstehen wollen und mit Auseinandersetzung zu tun. Wahrscheinlich ist Bildung die allerbeste Nutzung, die man sich dafür vorstellen konnte. 

Was bedeutet das Projekt für Sie?

Für uns ist das ein extrem besonderes Projekt, wirklich eines unserer schönsten Projekte, die wir je hatten. Es ist eine wahnsinnig spannende Aufgabe, allein die Auseinandersetzung mit den Materialien: Wir nehmen die alten Beläge und machen die Wohnzimmer im Park. Es ist die einmalige Chance, gerade auch mit meinem Profil, aber auch als Landschaftsarchitekt generell, mit so einem geschichtsträchtigen spannenden Ort vor der Aufgabe zu stehen, nicht ein Denkmal zu gestalten, sondern eine Neuinterpretation, eine zeitgenössische Interpretation zu schaffen. Das ist eine der schönsten Aufgaben, die man machen kann.

Der Andere Park 2025 – welches Bild zeichnen Sie vor Ihrem inneren Auge? Was ist Ihr Wunsch für den »Park der Begegnung«?

Einerseits, dass die Orte der Begegnung angenommen werden, dass das Raumangebot, das wir gestaltet haben, die Menschen zur Entfaltung bringt. Sie sind ganz individuell: Das Forum ist ganz anders als der Park und ganz anders als der Zeltplatz. Wir haben versucht, gut bedachte Begegnungsgelegenheiten zu schaffen – nehmen wir nur die Wohnzimmer im Park als Beispiel, den Checkpoint mit seiner Vielfalt, das Forum: Wir haben in diesem riesigen Raum Nischen geschaffen, die trotzdem die Maßstäbe des Ortes beibehalten. Wo kann man einfach abhängen, wo kann man schlendern, wo in der Sonne, wo im Schatten sein – wir bieten den Menschen Nischen, ganz verschiedene Stimmungen und Orte. Und ich glaube, wenn die Menschen sie in ihrer Vielfalt annehmen und sie genießen, das wäre schon eine große Sache.

Und: Wenn der Ort an sich in der Lage ist, sein eigenes Marketing zu machen. Dass er so gut ist, dass Menschen in den Park kommen, um sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen in dieser Art von Umdeutung. Dass diese Umdeutung allein eine Tragweite hat und gewisses Interesse weckt und dass die Menschen diesen Humor verstehen, die Konfrontation mit alten Lampen und Sitzmöbeln. Dass all dies einen Zugang zur Geschichte schafft, der Park dafür renommiert wir. Und dass bewusst wird, dass es der IBA gelungen ist, etwas so Wichtiges zu erhalten.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Winogrond.

Robin Winogrond
Landschaftsarchitektin & Urban Design SIA, Partnerin und Mitgründerin des Studio Vulkan Landschaftsarchitektur Zürich seit 2014

2008–2012: Mitglied der Stadtbaukommission Luzern.
2000–2008: Dozentin ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur.
1999: Gründung Robin Winogrond Landschaftsarchitekten, Zürich/Stuttgart.
1992–1996: Wissenschaftliche Mitarbeiterin TU Stuttgart, freischaffende Landschaftsarchitektin.
1990–1991: Studium Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste.
1986–1989: Master of Landscape Architecture, Louisiana State University.
1984–1986: Mitarbeiterin Büro Camiros Urban Planning, Chicago.
1980–1984: Bachelor of Arts in Urban Design, University of Wisconsin.
Geboren 1958 in Chicago, Illinois.